Sinnbild für Offenheit und Demokratie
Vor noch nicht einmal hundert Jahren aus einzelnen Gemeinden zu einer Stadt vereint, bekam Marl erst in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ein eigenes Stadtzentrum, gebaut „auf der grünen Wiese“. Sinnbild für die neue Innenstadt wurde der Rathauskomplex von Hendrik van den Broek und Jacob Bakema, die als Sieger aus einem internationalen Architekturwettbewerb hervorgingen. Der Entwurf galt als visionär und ultra-modern. Als architektonischer Ausdruck demokratisch-bürgerlicher Selbstverwaltung nutzten die Architekten die damals aktuellste Konstruktionstechnik.
Doch die Marler Innenstadt erfüllt heute nicht alle Funktionen, die von ihr erwartet werden. Bürgerschaftliche, private und städtische Initiativen sollen, auf der Grundlage eines Handlungskonzeptes für die Stadtmitte, Strukturen optimieren, Marls Mitte städtebaulich aufwerten und die Aufenthaltsqualität erhöhen – und der Marler Innenstadt nun die Bedeutung geben, die ihr einst zugedacht war. Herzstück ist die energetische und barrierefreie Sanierung des Rathauses, das Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Initiativen in Zukunft als Haus der Begegnung offen steht.
Das Rathaus Marl steht seit 2015 unter Denkmalschutz. Das Gebäude-Ensemble ist ein herausragendes Beispiel für die Architektur der Ruhrmoderne. Es wurde 2018 von der Landesinitiative StadtBauKultur NRW als „Big Beautiful Building“ ausgezeichnet und gilt als „Symbol demokratischer Baukultur“, die Besucher nicht als Bittsteller, sondern selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger einer demokratischen Gesellschaft betrachtet.
Fotografin Susan Feind dokumentiert die Sanierung des Rathauses in Marl
Die freie Fotografin und Künstlerin Susan Feind beschäftigt sich seit Jahren mit der besonderen Architektur des Marler Rathauses. Die Duisburgerin erhielt von der Stadt Marl den Auftrag für die fotografisch-künstlerische Dokumentation der Rathaussanierung.
In Marl ist Susan Feind längst keine Unbekannte mehr. Viele Bürgerinnen und Bürger kennen die Fotografin, die mit ihren Bildern bereits in der Vergangenheit den Wert des Baudenkmals sowie den individuellen Ausdruck und die Atmosphäre des Marler Rathauses eingefangen hat.
„Ich freue mich sehr, die Sanierung dieses architektonisch einmaligen Gebäudes fotografisch begleiten zu dürfen. Die Idee, dass mit Hilfe der Architektur demokratisches Denken und Handeln gefördert wird, hat mich fasziniert und war Ausgangspunkt meiner architekturfotografischen Arbeit. Als studierte Architektin hat man eine Affinität zu Bauten. Ich fühle mich dort sehr wohl und mag die Herausforderung, die damit verbunden ist. Neben architekturfotografischen Grundlagen, wie der Ausgleich von stürzenden Linien, interessieren mich vor allem die Veränderungen des Gebäudes durch sich ändernde Lichtverhältnisse. Bei der fortschreitenden Sanierung des Marler Rathaus werden sich immer wieder neue Sichtweisen durch den sich ständig verändernden Raum ergeben.“
– Susan Feind
„Marl ist das deutsche Klein-Brasilia. Ich sah auf dem freien Felde das kühnste und verwegenste Rathaus der Deutschen stehen. (…) Ich begriff die Gewalt dieser Architektur, die mächtige Sprache der Formen. Ich war wie verzaubert vom Geist der Vernunft in Beton.“
Horst Krüger: Im Revier. Bilder aus dem Ruhrgebiet, in: Merkur, 1968
Treffpunkt
Das Rathaus wird zur Begegnungsstätte
„Und was das Rathaus angeht: Der Besucher wandelt durch ein fast expressionistisches Kunstwerk, ohne Wiederholung von Raumfolgen oder Details; nichts ist nach Katalog bestellt, alles ging über das Papier der Architekten.“
Otl Aicher: Ruhrgebiet. Man holt alles heraus und steckt und steckt nichts hinein, in: Die Zeit, 1967
„Die Stadt am Nordrand des Ruhrgebietes bietet einen ungewöhnlichen Blick auf die Architektur-Moderne der 1960er Jahre. Es ist ein Blick in die Welt des béton brut, wie sie der große Weltbaumeister Le Corbusier (mehr) propagierte, der urbanen Großzügigkeit und der Idee vom „Städtischen Leben im Grünen“.
aus rheinische ART 03/2021
HISTORIE
Die Idee: Ein Rathaus für die Zukunft
Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg stand in Marl unter dem Zeichen eines mutigen Neuanfangs. Zentrale Aufgabe war zunächst der Wohnungsbau, doch auch ein neues städtisches Verwaltungsgebäude stand bald außer Frage. Denn die Bevölkerung wuchs rasant: 1950 lebten bereits 60.000 Einwohner*innen in Marl, acht Jahre später waren es 90.405. Das Ziel: Ein neues und großes Rathaus für die Zukunft. Schon 1923 hatte ein Gutachten 120. 000 Einwohner*innen für Marl prognostiziert. Deshalb errechnete die Verwaltung damals einen Bedarf von 468 Räumen für 611 Mitarbeiter*innen. Bei der Planung des neuen Rathauses dachte der Initiator, Bürgermeister Rudi Heiland, groß. Für das Rathaus wurde 1958 ein beschränkter Wettbewerb ausgeschrieben, an dem u.a. die bekannten Architekten J.H. van den Broek und J.B. Bakema aus Holland, Hans Scharoun (Berlin), Arne Jocobsen aus Dänemark und Alvar Aalto aus Finnland teilnahmen. Die Niederländer erhielten den 1. Preis. Sie wollten ein neues, modernes und zu der Zeit innovatives Gebäude-Ensemble realisieren.
HISTORIE
Die Umsetzung: Bewunderung für architektonisches Kunstwerk
Der Siegerentwurf für das neue Marler Rathaus fand nicht nur breite Zustimmung in der Bevölkerung, sondern auch viel Bewunderung über die Stadtgrenzen hinweg. Auf politischer Ebene hatte es anfangs Uneinigkeiten wegen der Kosten zwischen den Parteien gegeben – doch pünktlich zur Grundsteinlegung konnten sie ausgeräumt werden. Zahlreiche Bürger*innen strömten zu diesem besonderen Anlass und lauschten gespannt der feierlichen Rede von Bürgermeister Rudi Heiland. Als das Rathaus 1967 offiziell eröffnet wurde, war die Begeisterung in der Stadt groß – die Menschen waren stolz auf das neue Rathaus. Auch unter zahlreichen Expert*innen wurde das Gebäude-Ensemble als architektonisches Kunstwerk gefeiert – mit seiner offenen Bauweise und einer beeindruckenden Innenausstattung in sattem schwarzem Leder, speziellem dunkelweißen Marmor, seltenem afrikanischen Holz und eigens gefertigten Mosaiken.
HISTORIE
Das Rathaus als Verwaltungs- und Begegnungsstätte
Mitten in der grünen Landschaft entstand in den 60er Jahren im jungen und aufstrebenden Marl mit dem neuen Rathaus eine Stadtkrone. Zwischen den Stadtteilen war reichlich Platz für eine großzügige architektonische Entwicklung. Das erste Haus am Platz wurde das Zentralgebäude des Rathauses: Es bildet den Knotenpunkt einer verästelten Wegeführung mit den Zugängen zu den Bürotürmen und zwei grünen Innenhöfen. Vom Rathaus-Vorplatz für Freiluftveranstaltungen führt eine imposante Freitreppe hinauf zur Eintrittshalle und den Versammlungssälen. Um sie herum legen sich L-förmig die Büros für die Stadtspitze.
Hinter den Mauern und Türen wurde damals jedoch nicht nur gearbeitet: Die großzügigen Säle nutzten die Mitarbeiter*innen und Bürger*innen als kostenlosen Treffpunkt für Veranstaltungen und Feierlichkeiten. Das erste Fest im neuen Rathaus war das Frühlingsfest der Stadtgartengesellschaft – und es sollte lange nicht das letzte sein, viele weitere Veranstaltungen folgten. Nach den Sanierungsarbeiten soll das Rathaus nun wieder lebendig und nach vielen Jahren erneut zur Begegnungsstätte werden, die alle Bewohner*innen Marls an einem gemeinsamen Treffpunkt vereint.
CHRONOLOGIE DER RATHAUSSANIERUNG
ARCHITEKTUR
Ein Symbol demokratischer Baukultur
Das „kühnste und verwegenste Rathaus der Deutschen“, eine „imponierende Vereinigung von verhalten-monumentaler Repräsentanz und architektonischer Grazie“: Das Lob von Architekt*innen, Kunstwissenschaftler*innen, Soziolog*innen und der Fachpresse für das neu gebaute Marler Rathaus in den 60er Jahren war überschwänglich. Ziel war es, einen „architektonischen Ausdruck einer demokratischen Gemeinschaft“ zu gestalten. So sollte die Architektur des Rathauses nach dem Ende des zweiten Weltkrieges ganz bewusst Strukturelemente traditioneller Herrschaftsarchitektur umgehen – sozusagen ein Gegenpol zur imposanten und markanten Architektur der Nationalsozialisten. Bis heute ist das Marler Rathaus nicht nur ein funktionales Verwaltungsgebäude, sondern Treffpunkt von Politik und Bürgerschaft. Es gilt als „Symbol demokratischer Baukultur“ und steht seit 2015 unter Denkmalschutz.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zogen immer mehr Menschen nach Marl. Kein Wunder, dass schon bald ein größeres Rathaus notwendig wurde. 1958 lobte die Stadt Marl unter zwölf zum Teil international bekannten Architekten einen Wettbewerb für ein neues Rathaus aus. In den Wettbewerbsunterlagen hieß es: „Das Rathaus soll als beherrschende Dominante […] der Stadt ihr Gesicht geben. […] Das Dominante muss in der unverwechselbaren Einmaligkeit und in der Ausdrucksfähigkeit liegen“. Am Ende konnten die niederländischen Architekten Johannes Hendrik van den Broek und Jacob Berend Bakema diese Erwartungen erfüllen. Die Jury war begeistert und beurteilte den Entwurf als eine „hervorragende technische und künstlerische Leistung“. Warum? Einfach weiterlesen!
Die Architekten stellten sich das Rathaus als „Stadtkrone“ vor. Das bedeutet: Die Stadtmitte Marls, die sich zu der Zeit noch in der Planung befand, sollte sich in niedrigerer Bauweise rund um den neuen Rathauskomplex entwickeln. Und dieser Komplex besteht aus mehreren Elementen: der repräsentative Sitzungssaal, das Zentralgebäude für die kommunalen Dienstleistungen sowie zwei statt ursprünglich vier geplanten Dezernatstürme. Auffällig: Das Rathaus ist kein massiver Zweckbau, so wie es bis zum Ende des zweiten Weltkrieges üblich war – ganz im Gegenteil. Die Architekten setzten neue Maßstäbe und planten das Rathaus in einer offenen Bauweise, die symbolisch für einen demokratischen Neuanfang und eine offene und freie Stadtgesellschaft stehen sollte. Die verschiedenen Bauwerke des Rathauses sind locker durch Brücken miteinander verknüpft – große Fenster, Wände aus Glas, Höfe und Durchbrüche lassen die Gebäude offen erscheinen. Eine weitere Besonderheit: Das Rathaus fügt sich ganz natürlich in seine Umgebung ein.
ARCHITEKTUR
Die hängenden Türme
Die beiden Bürotürme sind das Erkennungsmerkmal des Marler Rathauses. Als erste Bauten ihrer Art in Deutschland sind sie als Hängehochhäuser konstruiert worden – und gelten mit ihrer vorgehängten Fassade als kühne Konstruktion. 14 Jahre nach der Fertigstellung des neuen Rathauses wurden erste Schäden an den Türmen entdeckt. So musste eine zweite innenliegende Aufhängung gebaut werden, um die ursprüngliche Konstruktion zu entlasten. Noch heute prägen die zwei Rathaustürme die Marler Stadtmitte: Der erste Turm ragt mehr als 35 Meter über das Zentralgebäude hinaus, Turm II mehr als 42 Meter.
ARCHITEKTUR
Ein prägender und repräsentativer Ort
Hier werden zentrale und wichtige Entscheidungen für die Stadt getroffen: im Sitzungstrakt, eines der prägenden Elemente des Rathauses. Die große Halle ist von einem 60 Meter langen und 28 Meter breitem Faltwerk aus Stahlbeton überdacht. Direkt darunter befinden sich der Ratssaal, zwei Sitzungssäle und das Foyer mit Nebenräumen. Das Besondere am Betondach: Es ist aus einem Guss gefertigt und die sieben v-förmigen Falten entlasten das massive Dach.
In die Säle des Sitzungstraktes strahlt viel Tageslicht. Das ist der speziellen Ausrichtung des Faltdachs zu danken – die Dachfalten reichen von einer Schmalseite zur anderen über die maximale Länge hinweg. Trotz des Betons wirkt der Bau weit geöffnet, denn das Obergeschoss ist vom Dach durch einen breiten Glasstreifen getrennt. So scheint das Dach des Sitzungstraktes zu schweben. Die Räume gehen fließend ineinander über: Wände setzen sich ab einer Höhe von 3 Metern bis zum Faltdach als Glaswände fort. Die Scheiben aus Glas ermöglichen somit aus jedem Raum einen Blick auf die gesamte Länge des Faltdachs. Und nicht nur diese Sicht ist außergewöhnlich, sondern ebenso die Nutzung hochwertiger Baumaterialien im Innenausbau. So dominieren im Sitzungstrakt und in dem ihn L-förmig umschließenden Gebäudeteil hochwertiger Marmor, exklusive Holzvertäfelungen und feine Wandmosaiken in wechselnden Farbtönen.
DATEN & FAKTEN
werden im Zuge der Rathaussanierung erneuert.
MATERIALIEN
Dokumente
Sie möchten noch mehr Infos zur Rathaussanierung? Hier gibt es Dokumente und Presseinformationen rund um das Marler Rathaus.
Daten und Fakten zum Rathaus
Wie groß ist das Baugrundstück? Wie viele Tonnen Beton wurden für Sitzungstrakt oder Zentralgebäude verbaut? Das und mehr erfahren Sie in dieser PDF.
Das Rathaus aus Sicht der Städtebauer und Architekten
Die Architektur des Rathauses wurde überschwänglich gelobt. Lesen Sie die Statements von Städtebauern und die Architekten.
Die Auswirkungen der Sanierung auf den städtischen Haushalt
Wie wirkt sich die Rathaussanierung auf den Haushalt der Stadt Marl aus? Und wie sind die Auswirkungen auf den Ergebnishaushalt, Finanzhaushalt und auf die Bilanz der Stadt Marl? Antworten gibt es hier!
Medieninformationen
Stadt gibt erneut Einblicke in die Rathaus-Baustelle
(24.09.2024)
Termine für Rathausführungen ausgebucht
(17.07.2024)
Marler Rathaus: Neue Termine für Führungen nach Sommerferien
(12.07.2024)
Rathausführung: Blick hinter die Kulissen
(06.05.2024)
Sanierung des Rathauses kommt gut voran
(13.03.2024)
Rathaus Marl: LWL-Film rückt Geschichte und Architektur in den Blick
(31.01.2024)
Sanierung des Marler Rathauses geht weiter voran
(29.11.2023)
Sanierung des Rathauses wird teurer
(15.09.2023)
Stadtplanungsausschuss besichtigt Rathausbaustelle
(14.09.2023)
Ein Blick hinter die Kulissen
(22.05.2023)
Bürgermeister lädt wieder zu Rathausführungen ein
(31.03.2023)
Rathaussanierung: Fertigstellung in 2026
(07.03.2023)
5,4 Mio. Euro für die Rathaussanierung
(31.10.2022)
Großes Interesse an Rathausführungen
(29.06.2022)
Rathaussanierung geht in nächste Phase
(26.04.2022)
Rathaussanierung: Jetzt zur Foto-Aktion anmelden!
(09.03.2022)
Rathaussanierung läuft auf Hochtouren
(22.02.2022)
Rat stellt zusätzliche Gelder für Rathaus-Sanierung bereit
(26.11.2021)
Gefördert durch